Sonntag, 2. November 2008

Altstadt von Riga

Freiheitsdenkmal von Riga (1931-1935 errichtet): unter sowjetischer Herrschaft streng bewacht, aber erhalten geblieben
Russisch-Orthodoxe Kathedrale in Riga

Altstadt von Riga

Altstadt von Riga
Deutsche Botschaft Riga

Schwarzhäupterhaus in Riga bei Nacht: der Schutzpatron eines Bundes von ausländischen, jungen Kaufleute (die in diesem Wahrzeichen von Riga zusammenkamen) war der Heilige Mauritius, dessen Symbol ein Mohrenkopf war, daher der Name "Schwarzhäupterhaus"

Auf dem Weg zum jüdischen Gottesdienst

Am Strand von Pärnu: die Ostsee heißt auf Estnisch übrigens "Läänemeri" (="Westsee")

v.l.: Valentina,Cecile, ich, Leonie und Inga auf der Aussichtsplatform der Petrikirche

Sonnenuntergang über Riga - photographiert aus der Skylinebar (26. Stock)

Blick über Riga & Daugava (Fluss): im Hintergrund der Fernsehturm

Blick über Riga

Riga: Domplatz

In der "French Bar"

Der Präsident von Estland: Toomas Hendrik Ilves


Beerdigung von Jaan und Alice Lattik


Die Russisch-Orthodoxe Kirche Viljandis von Innen...


... und von außen.

Oktober - Vierter Teil: Riga & Pärnu

RIGA!!!

DAS BESTE ZUM SCHLUSS: Ich war in Riga… und ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll zu erzählen. Riga ist einfach nur wunderschön und wirklich sehenswert. Nach ein paar Wochen in unserem kleinen, aber gemütlichen Viljandi, könnt ihr euch gar nicht vorstellen wie man sich in so einer Stadt (immerhin die größte im Baltikum fühlt). Ich hatte zum ersten Mal nach meiner Abreise aus Deutschland wirklich wieder das Gefühl in einer Großstadt zu sein: Riga ist ja dann noch mal um einiges größer als Tallinn. Die Idee nach Riga zu fahren hatten wir an einem Donnerstagabend: Mareike (eine andere deutsche Freiwillige) rief uns an und fragte uns, ob wir nicht Lust hätten am nächsten Tag mit Valentina (italienische Freiwillige aus Viljandi), Thomas (französische Freiwilliger aus Viljandi), Celie (französische Freiwillige aus Tallinn), Caroline (belgische Freiwillige aus Voru – Südestland) und Leonie (deutsche Freiwillige aus Voru – Südestland, www.viva-estonia.blogspot.com) nach Riga zu fahren. Wenige Stunde später saßen wir dann im Bus und kamen gegen 23 Uhr in Riga an. Und ich sage euch: Riga ist bei Nacht ein absoluter Traum. An eine der Brücken hängt eine blaue Lichterkette, die sich dann in der Daugava (Fluss) spiegelt und die Stadt an sich hat einfach nur Flair. Wir haben dann in einem 12-Betten-Zimmer in einem Hostel (Herberge) in der Altstadt unser Gepäck abgegeben und sind dann erstmal in die „French Bar“ („Französische Bar“) gegangen. Und es war glaube ich bis jetzt der schönste Abend bzw. die schönste und lebendigste Nacht^^ den ich bisher hier hatte… es gab schon viele sehr schöne Abende, aber diese Nacht in Riga werde ich so schnell nicht vergessen. Und diese Nacht war der beste Beweis dafür, dass man auch ohne Alkohol Spaß haben kann, wenn man mit den richtigen Leuten zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Ich trinke nämlich immer noch keinen Alkohol (außer den Wein in der Kirche), obwohl die Esten und wohl auch die Letten sehr gerne anstoßen.
Am nächsten Morgen wollte ich dann zur Synagoge. Die dann aber gerade renoviert wurde und ich einmal quer durch die Stadt zur Talmudschule (wo der Gottesdienst dann statt fand) gelaufen bin (vorbei am Freiheitsdenkmal, der deutschen Botschaft, russisch-orthodoxen Kirche… Photos siehe unten). Nach ein paar Viertelstunden habe ich dann auf der Straße vier orthodoxe Juden gesehen. In Deutschland war ich ja eigentlich immer in der liberalen jüdischen Gemeinde, habe aber kaum „orthodoxe“ Juden kennen gelernt. Ich habe mit ihnen dann erstmal ein bisschen über das Judentum in Lettland geredet und mir erklären lassen, dass sich die jüdische Gemeinde bzw. das jüdische Gemeindeleben in Lettland (das sich vor allem auf Riga konzentriert) gut entwickelt und sehr von der Chabad- Bewegung (chassidisch orthodoxe Form des Judentums) geprägt ist… kurz gesagt: ich bilde mich hier fleißig weiter!  Beim Gottesdienst habe ich dann auch jemanden getroffen, dessen Sohn Rabbiner in Düsseldorf ist. Ich musste dann nur auch bald wieder zurück, weil ich mir mit den anderen Freiwilligen auch noch die Stadt ansehen wollte. Die Photos seht ihr unten. Das Wetter hat dann auch noch mitgespielt. Am Abend sind wir dann noch zu einem (sehr) kleinen lettisch-litauisch-estnischen Volkstanzfestival im Gebäude der Technischen Universität von Riga gegangen… haben dort bis 1Uhr getanzt und natürlich ganz viel Spaß gehabt(siehe Video unten) und sind am nächsten Morgen dann auch wieder zurück nach Viljandi gefahren. Da wir unser Anschlussbus in Pärnu ein paar Stunden später kam, sind wir dort noch kurz zur Ostsee gegangen um unsere Füße ins eiskalte Wasser zu stellen und uns danach noch die (am Sonntag ziemlich ausgestorbene, obwohl viertgrößte Stadt Estlands) Altstadt anzuschauen. Pärnu ist die Sommerhauptstadt Estlands und hat die typische Ostseebad-Architektur… wirkt im Herbst nur nicht ganz so attraktiv.

Oktober - Dritter Teil

Deutscher Gottesdienst, Treffen mit dem Estnischen Präsidenten be der Beerdigung von Jaan Lattik, Mitarbeit in der Kirchengemeinde, Russen in Viljandi

Am Samstag hab ich dann den Präsidenten von Estland getroffen. Ich hab ihm nicht nur getroffen, sondern sogar die Tür aufgehalten.  Das ganze kam so: Gestern wurden bei uns in Viljandi ein Mann namens Jaan Lattik und seine Frau Alice Lattik beerdigt. Jaan Lattik war Pastor, Schriftsteller und estnischer Außenminister von 1928 bis 1931 und lebt während der sowjetischen Besatzungszeit im schwedischen Exil, wo er 1967 auch starb. Sein Leichnam wurde nun nach Estland überführt. Die Zeremonie fand in der Pauluskirche statt, wo mein Mentor (der für das Jahr hier in Estland als mein zuständiger Ansprechpartner für so ziemlich alles fungiert) Pastor ist. Das ganze war ziemlich feierlich und estnisch: Studenten standen neben dem Sarg mit der Estlandfahne, Militäroffiziere, mehr als sieben Pastoren aus den umliegenden Gemeinden, Bildungsminister und eben der estnische Präsident… ich habe mich dann in die letzte Reihe gesetzt und gesehen, dass die Haupttüren zur Kirche aufgemacht wurden. Eine der Türen ist dann aber wieder zugefallen und ich hab sie dann wieder aufgemacht, woraufhin mich der eine gebeten hat, die Tür einfach weiter aufzuhalten. Und dann kam plötzlich der Präsident. Noch nicht mal zwei Monate in Estland und schon den Präsidenten gesehen… Unten sind ein paar Photos.
Ich mache jetzt übrigens auch im Konfirmandenunterricht der Pauluskirche mit, um weiter fleißig Estnisch zu lernen. Mein Mentor, der ja auch gleichzeitig mein Pastor ist, meinte, dass ich demnächst auch gerne im Gottesdienst mithelfen kann (Bibeltext vorlesen & Co.). Wenn ich möchte, kann ich bald vielleicht sogar das Abendmahl austeilen: den liturgischen Teil macht er natürlich weiterhin, ich würde dann eben das Brot und den Wein austeilen und was auf Estnisch dazu sagen. !!! Mein Pastor, er heißt übrigens Mart Salumäe, ist unglaublich gemütlich, nett, kommunikativ, humorvoll und hilfsbereit. Neulich hat er versucht, mit dem russisch-orthodoxen Priester hier in Viljandi eine Zusammenarbeit in die Wege zu leiten, aber der russisch-orthodoxe Priester wollte leider nicht. Neulich habe ich dann auch mal die russisch-orthodoxe Kirche bzw. kleine Kappelle besucht… der Raum war ziemlich düster und die Atmosphäre nicht gerade entspannt (der Priester hat mich die ganze Zeit – wie ich finde ziemlich misstrauisch – beobachtet). So schnell werde ich dort auf jeden Fall nicht mehr hingehen.
Ganz nebenbei bemerkt: Die Bevölkerung Estlands besteht zu gut einem Drittel aus Russen. Hier in Viljandi wohnen aber nur sehr wenig Russen und ich höre eigentlich auch nur Estnisch. In Tallinn und Nordostestland ist es hingegen ganz anders: dort gibt es dann auch mal Städte und Orte, die zu gut 80 / 90% von Russen bewohnt werden. Das hängt damit zusammen, dass man während der Russischen Besatzungszeit sehr viele Russen im Nordosten Estlands angesiedelt hat (das ganze nennt sich „Russifizierung“). Der Nordosten Estlands ist sehr stark von der Industrie geprägt und es wird auch heute noch dringend davon abgeraten, Wasser aus den dortigen Seen zu trinken. Eine ehemalige Freiwillige, die bereits in Narva (im Nordosten Estlands, drittgrößte Stadt von Estland) war, erzählte, dass sie in der Bäckerei nicht einmal ein Brötchen auf Estnisch bestellen konnte, weil die Bäckerin nur Russisch sprach bzw. Russisch sprechen wollte. Ich werde demnächst noch deutlich mehr darüber schreiben, weil es ja auch kein unwichtiges Thema ist: in Tallinn gab es im letzten Jahr zwischen Russen und Esten auch Straßenkrawalle mit einem Toten… aber ich glaube, ich weiß bis jetzt noch zu wenig darüber.
Jetzt aber wieder zur Überschrift zurück: letzten Sonntag waren wir beim deutschen Gottesdienst hier in Viljandi. Es waren zwar gerade einmal elf Leute da (inkl. uns drei Freiwilligen und dem noch sehr jungen Pastor), aber beim Kaffeetrinken danach wurden wir von einer Urgroßmutter eingeladen, mit ihr Weihnachten zu feiern. Zwei derjenigen, die kamen, kommen ursprünglich aus dem Rheinland, und sind nach der Wende als Landwirte hierher gekommen. Sie wissen noch nicht, ob sie für immer hier bleiben wollen, weil sie auch noch Familie in Deutschland haben. Der Schleswig-Holsteiner wiederum kann seine Familiengeschichte bis auf eine im Mittelalter sehr bekannte deutsche Familie in Estland zurückverfolgen. Zu den so genannten Deutschbalten schreibe ich im Laufe des Jahres bestimmt auch noch einmal was. Der deutsche Pastor ist nicht nur für Viljandi, sondern auch für ganz Estland zuständig und arbeitet nebenbei auch noch als Lehrer für Deutsch und Philosophie in Tallinn. Der deutsche Gottesdienst findet hier in Viljandi zwar nur einmal im Monat statt, an den anderen Sonntagen gibt es dann aber noch deutsche Gottesdienste in Tallinn oder Tartu.

Oktober - Zweiter Teil

CVJM


Vorgestern war wieder einmal Jugendabend bzw. CVJM-Treff, der jeden Freitagabend ab 19 Uhr in der Johanneskirche stattfindet - gestern sind wir dann auch erst um 0:30 Uhr wiedergekommen. Unsere erste estnische Freundin (Musikstudentin an der Kulturakademie hier in Viljandi), die wir auf dem Geburtstag einer italienischen Freiwilligen kennen gelernt hatten, hatte uns das erste Mal eingeladen und seitdem gehen wir eigentlich jeden Freitag dahin und werden das wohl auch die nächsten Monate tun. Am Anfang singen wir immer ein paar Lieder aus dem Jugendgesangbuch, reden über eine Bibelstelle und gestalten den Rest des Abends relativ eigenständig. Manche gehen dann vom Jugendraum im Keller rauf in den eigentlichen „Kirchenraum“ um sich ans Klavier zu setzen und ein paar (Gospel-)Lieder zu singen. Dass die Esten gut singen können, hatte ich ja schon in ein paar Reiseführern und Ähnlichem gelesen. „Gut singen“ ist aber für das wozu diese Jugendlichen im Stande sind eine starke Untertreibung: und hier kann eigentlich jeder (auch ohne Gesangsunterricht) singen. Wer oben nicht mitsingt oder sich einfach nur dazusetzt, kann man im Kellerraum spielen, reden, Kerzen oder – wie zum Beispiel vorgestern – Gipsabdrücke von Händen, Ohren, Nasen machen.

Normalerweise übersetzt uns Kalmer (der Jugendleiter, der ein Jahr lang auf einer Bibelschule in Norwegen war) das, was er auf Estnisch gesagt hat noch mal ins Englische, aber vorgestern haben wir es sogar auf Deutsch übersetzt bekommen. Die ca. 24-jährige Leiterin des Gospelchores der Johanneskirche war da: Sie war Au- Pair in Mecklenburg-Vorpommern und spricht wirklich perfekt Deutsch. Wir werden dann auch zum Gospelchor gehen, nachdem wir jetzt erstmal im Kirchenchor der Pauluskirche (wo wir eher traditionelle Kirchen- und Volkslieder singen) mitmachen. Die Leiterin des Gospelchores wohnt uns quasi fast gegenüber und ist – wie die anderen Jugendlichen beim Jugendabend auch – unheimlich nett. Die Esten wie ich sie bisher kennen gelernt habe, haben eine unendlich spontane, gemütliche, humorvolle und natürliche Art. Ich weiß, ich hab euch das bestimmt schon einmal geschrieben, aber ihr könnt euch gar nicht vorstellen wie sehr ich mich freue so viele nette Leute kennen zu lernen. Und die Gespräche sind in der Regel dann auch alles andere als oberflächlich, sondern in der Regel sehr ehrlich und persönlich. Kurz vor dem (offiziellen) Ende beten wir dann gemeinsam und singen noch ein wenig. Und diese Gemütlichkeit färbt langsam auf mich ab, zumindest hab ich das Gefühl, dass ich selbst um einiges gelassener werde. Vor allem aber lerne ich langsam meine freie Zeit zu genießen und auch mal nichts zu machen. Lerne aber natürlich weiter fleißig Estnisch: Hab vorgestern sogar was auf Estnisch über die Bibelstelle sagen können, die wir beim Jugendabend gelesen haben. Zur Sprache später noch mehr.

Oktober - Erster Teil

Tere ohtust!

Das ist estnisch für „Guten Abend“… zu aller erst möchte ich mich bei euch entschuldigen, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe. Eins vorweg: Mir geht es immer noch sehr, sehr gut und ich kann euch gar nicht sagen wie glücklich bin, nach den ersten knapp zwei Monaten in Estland sagen zu können, dass ich das Gefühl habe, mit Estland und meinem Projekt und allem anderen drum herum die völlig richtige Entscheidung getroffen zu haben! Ich bin gerade auf meinem ersten Seminar „on-arrival-training“ in Viinistu, einem Dorf in Nordestland. Bis Donnerstag werden wir 30 Freiwilligen (darunter viel zu viele Deutsche, Franzosen, Belgier, Mazedonier, Armenier, Polen, Österreicher, Spanier, Italiener, Brasilianer, Ungaren…) uns dann mit unserem "Europäischen Freiwilligendienst / EVS" beschäftigen. Da wir abends genug Zeit haben auch mal eine email zu schreiben und es natürlich auch hier Internet gibt, werde ich versuchen, euch auf den neusten Stand von meinen Erlebnissen hier in Estland (und mittlerweile auch in Lettland) zu bringen.

Da ich im letzten Monat sehr viel erlebt habe, habe ich das ganze in Kapitel aufgeteilt.

1: CVJM

2: deutscher Gottesdienst in Viljandi, Treffen mit dem estnischen Präsidenten bei der

Beerdigung von Jaan Lattik

3: Tag: Riga & Pärnu

4: Tag: meine Arbeit und Sonstiges

ALLE PHOTOS UND DIE EMAIL FINDET IHR AUCH AUF MEINEM BLOG:
www.binbaldwiederda.blogspot.com

Mittwoch, 24. September 2008

Tere! Tere! Tere!
Wollte mich eigentlich schon seit ein paar Tagen wieder bei euch melden… aber ich bin gerade ganz schön viel unterwegs, was man bei einer 22.000 Einwohnerstadt ja kaum glauben mag, aber hier wird uns, denke ich, nicht so schnell langweilig. Und ich fühle mich hier einfach nur Pudelwohl: hab jetzt auch einen seeeeeeeehr netten Franzosen aus Toulouse kennen lernt, der auch in Viljandi seinen Freiwilligendienst macht! :-)!!! Kann also endlich wieder französisch snakken. Gestern Abend waren wir auf der Geburtstagsparty von Valentina (einer italienischen Freiwilligen) und haben ein paar französische, portugiesische, deutsche und spanische Freiwillige aus Tallinn & Co. kennen gelernt. In Viljandi trifft sich die Welt (hab vor kurzem auch zwei Australier getroffen… aber darüber auch noch zu schreiben wird glaube ich ein bisschen zu viel).

Jetzt aber erstmal von vorn:
Man mag es kaum glauben, aber der Fabian hat es heute tatsächlich geschafft sich zwei estnische Wörter länger als zwei Minuten zu merken… muss nur noch mal kurz nachschauen wie sie heißen… ach ja „Ilusat nädalavahetust!" (Betonung auf der ersten Silbe). Das heißt übersetzt „Schönes Wochenende!". Und ich durfte es gerade zum ersten Mal sagen, da meine erste Arbeitswoche nun zu Ende ist! Bin zwar ganz schön müde und kaputt, werde dafür aber auch in meinem persönlichen Kombinationswunschprojekt eingesetzt: im Kindergarten des Lasteabi- ja Sotsiaalkeskus („Kinderhilfs- und Sozialzentrum"). Meine beiden Mitbewohner arbeiten auch im Lasteabi- ja Sotsiaalkeskus, allerdings in anderen Projekten (z. B. in einer Wohngruppe für behinderte Jugendliche).
Die sieben Kindergartenkinder werden von drei Mitarbeitern und nun auch von mir^^ betreut und sind von leicht bis schwer geistig und körperlich behindert. Ich werde euch das nächste Mal auch ein paar Zeilen zu den Kindern schreiben, wenn ich mehr über die Behinderungen weiß: Die Mitarbeiterinnen reden mit mir nämlich fast ausschließlich Estnisch bzw. ziemlich gebrochenes Deutsch und Englisch… Auf Estnisch über die Behinderungen der Kinder zu sprechen ist mir deshalb noch nicht wirklich gelungen. ^^ Die Betreuerinnen sind aber unheimlich lieb, witzig und hilfsbereit und bemühen sich inständig darum mir Estnisch beizubringen. Womit wir auch wieder bei den Vorurteilen über die angeblich so Körperkontaktscheuenden und verschlossenen Esten wären: Ich selbst werde nämlich jeden morgen erstmal umarmt und gefragt, wie's mir geht (was die Esten laut zahlreicher Reiseführer nur bei seeeeeeeehr guten Freuden fragen). Und das in Estland angeblich so unpopuläre „Danke
" wird zumindest in meinem Projekt bei fast jeder Gelegenheit gesagt.
Ich arbeite von Montag bis Freitag 8 bis ca. 13 Uhr, demnächst auch parallel in einem zweiten Projekt mit älteren Kindern. Da in diesem Projekt derzeit aber noch eine Praktikantin ist, arbeite ich jetzt erstmal im Kindergarten: Ist vermutlich auch besser so, weil ich noch ein paar Tage oder auch Wochen brauchen werde, um die Kinder einigermaßen einschätzen und wirklich kennen lernen zu können. Das Tagesprogramm im Kindergarten sieht ungefähr so aus:

7.45-8.30 Uhr: wach werden & spielen
8.30-9 Uhr: Frühstück
9 – 10 Uhr: Spielen
10 – 10.30 Uhr: Morgenkreis
10.30 – 11 Uhr: Singen, Basteln, „Unterricht"
11 – 11.45 Uhr: Spielen, Spazierengehen
12 – 12.30 Uhr: Mittagessen der Mitarbeiter / Betreuer
12.30 – 13 Uhr: Mittagessen der Kinder
danach: Mittagsschlaf

Ich selbst spiele hauptsächlich mit den Kindern (Taschentuchpusten, Puzzeln, Ballspiele & Co.) und gehe mit ihnen spazieren. Ansonsten helfe ich beim Essen bzw. passe darauf auf, dass sie (überhaupt) essen und helfe eben beim An- und Ausziehen, Auf-Toilette-Gehen, Windelnwechseln, Zähneputzen usw. Und ich singe (viel!). Habe eins der Kinder mit „Hänschen klein" neulich sogar so weit bringen können, dass es ruhig auf der Toilette sitzen bleibt… alternativ singe ich die schwedische Nationalhymne. Um wenigstens ein paar estnische Lieder zu lernen sind Inga (meine Mitbewohnerin) und ich am Montagabend ins Kulturzentrum zum „Singen" gegangen, natürlich auch in der Hoffnung, unsere ersten estnischen Freunde zu angeln. Das Singen ähnelte aber dann eher einem Meditationsritus von Anhängern lokaler Naturreligionen als einer Chorprobe: Vorne saßen zwei Männer mit Bart und davor lagen mehrere Teppiche in einem Kreis. Drum herum standen noch ein paar Stühle und der R
aum war so im Holz-Stein-Blockhütten-Stil… na ja… Mann 1 redete erstmal ein paar Sätze auf Estnisch, trank Tee und fing auf ein Mal an lauthals uralte Volkslieder anzustimmen… nach 6 oder 7 Wörter sangen oder summten die Esten immer das nach was der Mann vorne sang… danach erzählte irgendjemand aus dem Publikum was… dann redeten die beiden Männer… dann sangen sie wieder… dann gingen ein paar raus, ein paar Neue kamen hinzu, dann ging das Singen wieder los… und dann erzählte wieder irgendjemand irgendetwas. Später habe ich dann mit einem mir sehr symathischen estnischen Sound Engineer gesnakkelt und erfahren, dass das ganze mehr oder weniger eine lockere, offene Zusammenkunft ist, auf dem man einfach hin und wieder singt, Tee trinkt und sich was erzählt. Wir haben natürlich auch zwei estnische Studentinnen kennen gelernt, die wir ab sofort (zusammen mit dem sound engineer) zu unseren Freundinnen zählen und die auch nicht jedes Wort beim Singen versta
nden haben (es muss sich also um seeeeeehr alte Volksweisen gehandelt haben). Auf jeden Fall war es urgemütlich, nur eben ein wenig „seltsam".

A propos „seltsam": Die Esten sind die Weltrekordhalter im Schaukeln (7,02m der Este und 5,86m die Estin). Die Schaukeln sind hier aber auch eher zum Stehschaukeln gedacht (könnt ihr unten auf dem Photo sehen)… Es gibt hier auch Schaukelmeisterschaften, bei denen man sich an diesen Schaukeln festschnallt und sich versucht mehrere Male zu überschlagen. Mich persönlich hat schon das Schaukeln darauf viel zu sehr an die Schiffsschaukel im Heide Park erinnert.

Nun aber wieder zu den wirklich wichtigen Dingen: Ich wohne in Viljandi (Südestland) – und ich könnte mir einfach keine schönere und gemütlichere (im positiven Sinn gemeinte) estnische Stadt vorstellen: so eine Mischung aus Bullerbü, Gleidingen und Neubrandenburg. ^^ Da hier die Kulturakademie (eine Außenstelle der Uni Tartu) ist, und es daher auch so eine Art Mini-Studentenstadt ist, wird uns hier auch nicht so schnell langweilig… am Mittwochabend waren wir erstmal mit den beiden Studentinnen, die wir am Montagabend beim Singen kennen gelernt hatten, in der Liverpoolbar verabredet (dort finden im Winter zweimal die Woche Jazzkonzerte statt). Viljandis Innenstadt ist so eine Mischung aus Bullerbü und Gleidingen. Patrice, Inga und ich wohnen 20min Fußweg vom Stadtzentrum in einem Plattenbau… ABER(!!!) und ich glaube, dass das sehr wichtig ist um Estland wie ich es bisher kennen gelernt habe zu verstehen: der erste Blick sagt eigentlich gar nichts aus. Unsere Wohn
ung besteht aus einem orangen Flur, einer grünen Küche, einem rosa (hygienisch-sauberen!!!^^) Marmorbadezimmer (inkl. funktionierender Waschmaschine), einem grünen Zimmer (für Inga) und einem alles andere als engen Zimmer für Patrice und mich (inkl. Fernseher und Internetanschluss – leider haben wir hier noch kein W-LAN). Der Flur und die beiden Zimmer haben dann auch noch Laminat… :-) Und ganz wichtig: die Heizung funktioniert! Wir haben hier nämlich so um die 7 Grad… und mir wird langsam kalt. Zwei Minuten vor unserer Haustür ist dann der Viljandisee, der im Winter hin und wieder vollständig zugefroren ist, was die Esten dann natürlich dann wieder dazu verführt, sich neue Sportarten auszudenken. Ach ja: es gibt hier auch eine Skisprungschanze (ca. 50m lang)… so viel zum estnischen Flachland… ist nämlich ziemlich hüglig hier. Um Viljandi herum bzw. ab dem See ist dann erstmal für gaaaaaaanz lange Zeit Natur pur. Wir haben auch unser eigenes – ich um
schreibe es jetzt mal metaphorisch – „Fahrrad", das bei jedem Tritt seine letzten noch verbliebenen Schrauben verlieren zu scheint und entsprechend knarscht. Und wenn man jetzt berücksichtigt, dass es hier nicht nur Berg auf Berg ab geht, sondern die Straßenverhältnisse sich am Besten mit „Miniaturausgabe der Alpen" beschreiben lassen, vollbringt dieses Fahrrad (das natürlich weder Licht noch Klingel noch Bremse) hat wahre Meisterleistungen. Natürlich kann man mit dem Fahrrad bremsen… nur eben nur mit der Rücktrittbremse… und das auch leicht Zeit verzögert. A propos Zeit verzögert (ich liebe Überleitungen! :-)), wir gehen jetzt zum Pastaessen von Valentina (der italienischen Freiwillige), mein Franzose kommt auch^^ Muss also wieder los… Tut mir Leid, dass ich euch nicht so oft schreibe, aber wir sind gerade immer wieder irgendwo unterwegs und es gibt hier auch wirklich was kennen zu lernen, weshalb es mir immer noch schlicht und ergreifend sehr gut g
eht und ich gerade rundum glücklich bin. (Bullerbü + rosa Marmorbadezimmer + meine Arbeit + meine Kollegen + estnische Sprache + eigener Fernseher mit französischen, englischen, russischen und deutschen Kanälen + Mini-Studentenstadt + französische und italienische Freiwillige + meine Mitbewohner + Natur + ein Pastor bzw. mein Mentor, der mir jetzt schon angeboten hat, beim Gottesdienst das Abendmahl auszuteilen und bei den Konfirmandengruppen mitzuhelfen: dazu beim nächsten Mahl mehr + so viel mehr = :-)!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!)

Ganz viele liebe Grüße bzw. Tervitus (estnisch für „Grüße"),
Fabian
So... habe euch erstmal ein paar Photos hochgeladen, auch von unserer Wohnung - sieht von außen weitaus schlimmer aus als es ist. Die ehemaligen Freiwilligen, die hier gewohnt haben, haben uns noch ein paar DVDs, Weihnachtsdeko & Co. hinterlassen und einen sehr netten Brief geschrieben. :-)
Mein Projekt: das Lasteabi Keskus Viljandi ("Kinderhilfszentrum Viljandi")

Spielplatz

nochmal der Viljandi-See inkl. strahlend blauem Himmel

Pauluskirche (in der mein Mentor Pastor ist und ich demnächst auch vielleicht bei den Konfirmandengruppen oder im Gottesdienst helfen kann)


Viljandi

... und von innen: unsere Küche ...

... unser Bad ...

... unser Flur ...

... Tere Tulemast (Herzlich Willkommen!) ...

... das Zimmer von mir & Patrice ...

Uni Tartu (Zwischenstopp bei der Fahrt von Voru nach Viljandi)

Rathaus und Markt (Tartu)

Brücke von Tartu, auf der Stundenten hin und wieder oben Sofas & Co. stellen

Wahrzeichen von Viljandi: der Wasserturm

... unsere Wohnung von außen (in der Vorstadt von Viljandi - 2min Fußweg zum Viljandisee und 20min bis zur Innenstadt) ...

Haus in Viljandi

Ave Bremse (meine Koordinatorin), ich, Mareike und Inga beim Besuch von Leonie's Kindergartenprojekt in Voru

Viljandi

Viljandi

estnische Steh-Schaukel (die Esten halten ja den Weltrekord!^^)

Viljandi - See

Viljandi - See

Skisprungschanze von Viljandi (das kleine braune Holzbrett ist die Kinderschanze)

Viljandi - See

Viljandi - See

...die Jaani Kirke...
... das Kulturzentrum von Viljandi ...

... Hinweisschild für drahtloses Internet ...



Donnerstag, 11. September 2008

... auf dem Marktplatz von Tallinn.
... Skyline von Tallinn.
... am Gebrannte-Mandeln-Stand in der Altstadt.